Diagnosestellung aus der TCM-Sicht

Dazu dienen vier grundlegende Untersuchungsschritte, die sich über lange Zeit bis heute herauskristallisiert haben.

  1. Beobachtung
  2. Befragung
  3. Untersuchung der Zunge
  4. Untersuchung des Pulses

Es gibt noch weitere ergänzende Methoden, wie z.B. schmerzhafte Punkte abtasten oder Geruch von Ausdünstungen, aber das ist nicht immer zwingend notwendig. Man sagt, ein göttlicher Arzt brauche zur Diagnosestellung nur seinen Patienten zu beobachten. Er achtet auf seinen Gang, seine Bewegung, die Gesichtsfarbe, Mimik usw. Ein kaiserlicher Arzt, sagt man, muss zur Beobachtung noch zehn grundlegende zielgerichtete Fragen stellen, die ihren Algorithmus zur Diagnosestellung haben. Ein guter Arzt muss für seine Diagnose außerdem noch die Zunge untersuchen. Hierbei wird hauptsächlich der Zungenkörper und der Belag bewertet. Die Untersuchung der Zunge ist ein sehr aufklärendes Moment bei der Bestimmung der Diagnose. Ein gewöhnlicher Arzt braucht alle vier Methoden; d.h. er untersucht auch den Puls. In diesem Fall geht es nicht darum, wie hoch die Pulsfrequenz pro Minute beim Patienten ist, sondern es wird die Qualität des Pulses bewertet. Das heißt, ob der Puls voll oder leer, langsam oder schnell, oberflächlich oder tief, angespannt oder verschwommen ist usw. Insgesamt unterscheidet der Chinese 27 Pulsarten. In Europa über- wiegen einige Pulsarten, die sich immerzu wiederholen. Der Puls wird mit drei Fingern an beiden Hand- gelenken gefühlt, bei der jede Position ihre Bedeutung hat. Alle diese Einzelschritte führen zur Zusammensetzung des Mosaiks und zur Festlegung der Diagnose nach der traditionellen chinesischen Medizin, ohne dass aufwendige Apparate oder Untersuchungen notwendig sind.

Die Untersuchung der Zunge ist sehr objektiv und trägt wesentlich zur Diagnose bei. Es existieren sogar einige Atlanten, die etwa 250 verschiedene Zungenformen zeigen, die immer genau beschrieben sind und die entsprechende Diagnose sowohl aus Sicht der traditionellen chinesischen als auch der westlichen Medizin aufführen. Das sind bereits die ersten Erfolge der Zusammenarbeit zwischen der östlichen und westlichen Medizin. Wie glaubwürdig die Zungendiagnose ist, zeige ich Ihnen an den folgenden Beispielen. Es gibt Menschen, bei denen hat die Zunge ein volles Rot, sie hat Furchen, ist trocken und ohne Belag. Hierbei handelt es sich um einen Zustand „innerer Hitze mit Mangel an Yin“. Das kommt vor allem bei Frauen im Klimakterium vor, deren Lebenssaft austrocknet. Die Schlussfolgerungen aus der Zungendiagnose sind eindeutig und ändern sich nicht von einem Tag auf den anderen. Ist dagegen die Zunge blass, handelt es sich um Blutmangel bzw. Mangel an Yang–Feuer, das den Körper unzureichend „durchwärmt“. Eine leicht lila scheinende Zunge zeugt von einer Blockade des Blutes und der Energie Qi. Es muss dazugesagt werden, dass unsereins ohne Training in der traditionellen chinesischen Medizin nur schwer die Nuancen der Zungenfarbe unterscheiden kann, da ihm alle Zungen rot vorkommen werden. Häufig, vor allem bei Frauen, kann man an der Zungenspitze rote Punkte erkennen, die auf eine emotionale Blockade älteren Datums hinweisen. Ebenso wie uns die geschwollenen Zungenränder, an denen die Zunge einen Wellenabdruck hinterlässt, über die sog. innere Feuchtigkeit, vor allem in der Milzbahn, informiert. Die Milzbahn (Meridian) können wir uns wie einen Schwamm an der Tafel vorstellen. Er nimmt leicht Feuchtigkeit auf, gleichzeitig macht ihn aber zu viel Feuchtigkeit schwer. Die Feuchtigkeit (Wasser) tropft ständig aus dem Schwamm, sie schwächt ihn. Genauso sind die Anzeichen „Feuchtigkeit in der Milz“ – eine feuchte, geschwollene Zunge mit Abdruck, allgemeines Schwere– und Müdigkeitsgefühl, Leistungsabfall, übermäßige Schläfrigkeit, verlangsamte Aktivitäten, sowohl physisch als auch geistig, usw. Die moderne Medizin reiht alle diese Anzeichen unter das chronische Ermüdungssyndrom ein. Dieser Zustand kommt in den entwickelten Gesellschaften häufiger vor und ihre Ursache ist relativ bekannt. Es handelt sich um eine übermäßige, langanhaltende, permanente Belastung, entweder psychisch oder physisch, die nicht ausreichend über die Lebensführung kompensiert wird. Eines Tages entlädt sich die Energie und der Brennstoff geht aus – in der westlichen Welt gibt es den Begriff „burning out“–Syndrom dafür. „Kein Regenguss hält ewig an,“ sagt ein chinesisches Sprichwort über ein zu anspruchsvolles und hektisches Leben, das nicht ewig dauern kann und der Entkräftete auf der Strecke bleibt. Er verbrennt seine Reserven, seine Energie Qi, die eben genau in dieser Milzbahn gebildet wird. Von den Speisen sind die mit den negativsten Auswirkungen Süßspeisen, Produkte aus Weißmehl, fette Speisen und Fleischgerichte. Im Gegensatz dazu ist so ein Hirse– oder Buchweizenbrei für die Milzbahn geradezu ein himmlisches Manna und Ladegerät gleichzeitig. Der Belag ist ein weiteres Zeichen und Mosaikstein für die richtige Diagnose. Die normale Zunge eines Gesunden sollte eine rote Farbe und einen dünnen, weißen, durchscheinenden Belag haben. Eine solche Zunge habe ich noch nicht gesehen – nur auf dem Bild. Es ist natürlich richtig, dass ich sie gar nicht sehen konnte, denn in die Sprechstunde kommen ja meist diejenigen, die schon Beschwerden haben. Je dicker der Zungenbelag ist, desto größer ist die „Verstopfung des Organismus durch unreine Stoffe“. Vergleichbar mit einer überfüllten Mülltonne, die anschwillt und überläuft. Die Zunge stellt nur die gedachte Spitze des Eisberges dar. Je fettiger, gelber und eindeutiger der Belag ist, je fester er an der Zunge klebt, desto stärker ist die „innere Feuchtigkeit und Hitze“ bzw. der „innere Schleim“ ausgebildet und vergiftet und verstopft den Organismus. Dies alles sind eindeutig keine medizinischen Termine und ästhetischen Vergleiche. Aber ich konnte leider keinen besseren Ausdruck für faulende, gärende Reste unseres übermäßigen Verbrauchs von Lebensmitteln, die der Organismus nicht verarbeiten und ausreichend ausscheiden kann, finden. Ich komme noch mal auf den Vergleich mit der Mülltonne zurück, die wir mit schweren, klebrigen Abfällen (z.B. Süßigkeiten, fettes Essen) füllen, die sich an den Wänden fest hängen und sich beim Ausleeren nicht so leicht ausschütten lassen wie z. B. Papierabfälle oder Steine (z.B.: Obst, Gemüse, Vollkornprodukte). Auf diese Weise füllt sich langsam aber sicher unser Gefäß (Mülltonne), verstopft und hört schrittweise auf, seine Funktion zu erfüllen.

Die meisten fülligen Menschen haben einen solchen Zungenbelag. Es reicht aus, die Ernährung zu verändern (keine Süßigkeiten, Weißmehlprodukte, gebratene, fette Speisen oder Fleischgerichte; stattdessen Ballaststoffe, Obst und Gemüse) und Sie können sich selbst überzeugen, dass der Belag zurückgehen wird. Das alles ist natürlich eine Frage des Willens und der inneren Disziplin jedes einzelnen Menschen.

Nach der Festlegung der richtigen Diagnose erwartet den Arzt eine weitere, nicht leichte Aufgabe – die richtige Behandlungsart auszuwählen. Das Behandlungsarsenal der traditionellen chinesischen Medizin stellt sich aus Kräutermischungen, Akupunktur, Diätetik (Normalisierung der Ernährung), Psychotherapie, Massa- gen und verschiedenen Gymnastikarten zusammen, wobei die Behandlung mit Kräutermischungen in Zusammenhang mit einer Normalisierung der Ernährung den absoluten Schwerpunkt (etwa 90%) der gesamten Behandlung bilden. Der Rest fällt überwiegend auf Akupunktur und langsame chinesische Gymnastik.

Chinesische Übungen

Die gymnastischen Übungen wie Qi Gong oder Ba Duan Jin (8 Brokatteile) oder auch Tai Chi dienen vor allem der Stärkung und Erhaltung des gesunden Organismus, sowohl körperlich als auch geistig. Ihre Bedeutung ist vor allem präventiv, d.h. um eine Krankheit gar nicht erst entstehen zu lassen, bzw. auch nach Ausheilung einer Krankheit als Schutz vor wiederkehrenden Beschwerden. Die Wirkung ist schleichend. Es wird angegeben, dass Sie erst nach einem halben Jahr beginnen, die Wirkung zu spüren. Sinn der täglichen Übungen ist gezielt die Lösung der Blockade und Zirkulation der Energie in den Akupunkturbahnen zu fördern, damit diese ständig und regelmäßig alle Teile des Körpers versorgt. Deshalb sind die Übungen unterschiedlich, häufig ahmen sie Tiere nach, wie z.B. die Bewegung des Tigers, des Bären, Spannen des Bogens und Abschießen des Pfeils auf die Wildgans, Stand des Fischreihers usw., so wie es die Chinesen in der Natur beobachteten. Wert wird auch auf tiefe Atmung und Bewegungskoordination beim Ein– und Ausatmen gelegt. Es ist gar nicht so einfach, die anscheinend primitiven Übungen zu erlernen, denn ihren Sinn erfüllen sie nur, wenn sie wirklich exakt, täglich und jeden Tag zur gleichen Zeit ausgeführt werden. Ich muss gestehen, dass nur einer von hundert Patienten mehr für sich und seine Gesundheit machen möchte. Derjenige, der keine Übungen machen möchte, kann eine andere Alternative wählen – einen zwanzigminütigen Spaziergang vor dem Schlafengehen in scharfem Schritt. Es ist kein vollwertiger Ersatz für die Übungen, aber beim Gehen werden zumindest alle Meridiane gedehnt und miteinander verbunden.

In China treffen Sie morgens im Park viele Leute, die Übungen machen. Es handelt sich meist um ältere Menschen. Manchmal halten sie in der Hand einen Stock oder ein stumpfes Schwert, mit dem sie flinke Bewegungen ausführen. Die jüngeren Jahrgänge haben im Rahmen des Schulunterrichts Pflichtübungs- stunden. Ich erinnere mich an ein Studentenwohnheim, in dem jeden Morgen um sechs Uhr ein schneidiger chinesischer Marsch aus den Lautsprechern schallte, der die Studenten zur morgendlichen Übung weckte. Diese unvergessliche Melodie ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Auf dem Weg vom Frühstück zurück trafen wir Rentner, die mit Qi Gong– Kugeln in der Hand spielten. Diese Übungen führen zu besserer Bewegungskoordination und besseren Gehirnleistungen. Die meisten Leute sind Rechtshänder und benutzen die linke Hand nur wenig. Im Hinblick darauf, dass die linke Gehirnhemisphäre die Bewegungen der rechten Hand koordiniert und diese wiederum die linke Hemisphäre „trainiert“, gerät beim Rechtshänder die linke Hand und damit die rechte Hemisphäre in Nachteil. Die Qi Gong–Kugel dient der Harmonisierung beider Hemisphären und minimiert die Unausgeglichenheit. Diese Übungen sind wieder einmal nicht einfach – die Kugeln werden in der Handfläche bewegt, ohne sich dabei zu berühren. Besonders gut geeignet ist diese Übung für Patienten, die einen Schlaganfall oder andere Nervenlähmungen erlitten haben. Aus allen chinesischen Gymnastikformen geht hervor, dass sich der Mensch sowohl seine psychische als auch physische Kondition erhalten sollte. Diese Übungen tragen dazu bei. Der wichtigste Grundsatz ist immer, eine einseitige Belastung mit einer anderen zu kompensieren, um Folgen der einseitigen Belastung vorzubeugen. Diejenigen, die den ganzen Tag am Computer oder im Auto sitzen, sollten sich täglich ein Weilchen ihrem Körper widmen, um nicht zuletzt zu versteinern und zu einem unbeweglichen Abguss zu werden. Die langsamen chinesischen Übungen sind für den heutigen Menschen wie auf Maß geschneidert, da sie gleichzeitig auch den Geist beruhigen. Die kräftemäßig anspruchsvollen Sportarten wie Jogging, Aerobic, Breakdance, Squash, aber auch die Ausdauersportarten wie der Eiserne Mann, Marathon, Schwimmen, Fahrradfahren usw. – all diese betrachtet die traditionelle chinesische Medizin kritisch. Aus ihrer Sicht ist es nicht gut, wenn der Mensch in früher Jugend durch übermäßiges Training und Leistung die Reserven erschöpft, denn sie werden ziemlich sicher im späteren Alter fehlen. Wir sollten Sport treiben – aber vernünftig. Wir sollten unsere Kräfte nicht überspannen, nicht zu viel schwitzen, denn all das sind Anzeichen, dass wir „auf Reserve“ fahren. Die Chinesen empfehlen Sportarten wie Tischtennis oder Sportgymnastik, also keinen Kraftsport. Dabei wird Wert auf Wahrnehmung, Intelligenz, Technik und Bewegungskoordination gelegt und nicht auf einseitige Überlastung.

Jeder Mensch sollte aus Freude am Spiel und an der Bewegung Sport betreiben. Bei den gesundheits- fördernden Übungen wie Qi Gong oder Ba Duan Jin geht es um Konzentration, bei gleichzeitiger Lockerung ohne Anstrengung sich selbst zu überwinden oder maximale Ergebnisse zu erreichen. Die Atmung soll tief und natürlich sein. Kommt man dabei in Atemnot oder schwitzt, ist das ein Zeichen dafür, dass man die Übungen nicht richtig ausführt. Das Wichtigste ist die Regelmäßigkeit unserer Gewohnheiten. Jemand, der von Kindheit an Sport betreibt, hat seinen Körper an regelmäßige Belastungen gewöhnt. Für ihn wäre es schlecht, die sportlichen Leistungen plötzlich zu beenden. Die gefährlichste Situation tritt aber ein, wenn jemand aus dem Nichts heraus anfängt, intensiv zu üben, obwohl er schon seit Jahren keinen regelmäßigen Sport mehr betrieben hat. Die Joggingmode hat zum Beispiel eine ganze Welle von Herzinfarkten hervor- gerufen. Die gesunden chinesischen Übungen vermitteln zudem auch ein Gefühl von Leichtigkeit und Wohl- befinden. Bei falscher Durchführung können sie aber auch sowohl der körperlichen Gesundheit als auch dem geistigen Gleichgewicht schaden.

Nach chinesischer Sicht ist für die Erhaltung der Gesundheit nicht das Muskeltraining das Wichtigste, sondern die Flexibilität der Gelenke. Der Ausgleich für langes Sitzen, Stehen oder einseitige Lagen ist die Beschäftigung aller Gelenke. Man sollte sich täglich eine angemessene Portion Bewegung gönnen und lange Inaktivität sowie große Bewegungsintensitäten vermeiden. Sich im Gleichgewicht halten – das heißt, seine Gewohnheiten unter Kontrolle haben, den Rhythmus und die Regelmäßigkeit des Lebens bewahren.

Akupunktur

Eine weitere Behandlungsmethode der traditionellen chinesischen Medizin ist die Akupunktur. Sie ist uns die Bekannteste und deshalb möchte ich sie nur beiläufig erwähnen. Nach der traditionellen chinesischen Medizin existieren 12 Hauptakupunkturbahnen (die sog. Meridiane), die bestimmten körperlichen Organen entsprechen. Die Anzahl 12 ist nicht zufällig, sie drückt symbolisch auch die Anzahl der Monate im Jahr aus. In diesen Bahnen kreisen die Energie Qi und das Blut 50x in 24 Stunden rauf und runter. Auf diesen Bahnen gibt es 365 Akupunkturpunkte, die eine Konzentration der Energie Qi darstellen. Die Zahl 365 stellt die Tage im Jahr dar. Davon gelten 52 als Hauptpunkte zur Manipulation der Energie Qi. Die Zahl 52 entspricht der Wochenanzahl im Jahr.

Nach Festlegung der Diagnose wählt der chinesische Arzt Punkte aus, die den jetzigen Zustand beeinflussen und wählt danach die Behandlung (d.h. Manipulation der Energie Qi im Punkt durch Nadelstich). Entweder wird die Energie „abgelassen“, „aufgefüllt“ oder „normalisiert“, d.h. harmonisiert und die Bloc- kade gelöst. Die Akupunkturnadeln fungieren wie Antennen zwischen dem schon erwähnten Mikrokosmos und Makrokosmos. Liegt ein Übermaß an Energie in der Bahn vor, so „entlässt“ sie die Akupunkturnadel, normalisiert den Zustand. Im entgegengesetzten Fall wird die Energie wieder dank der Nadel aus der Umgebung (dem Weltall) in den Organismus übertragen. Besteht ein Ungleichgewicht, wird die Blockade von der Nadel, die in den entsprechenden Punkt des Energieflusses und Blutes im betroffenen Bereich gestochen wird, aufgelöst. Man kann es sich wie ein Ventil beim Reifen vorstellen. Ist der Reifen zu stark aufgeblasen, lassen wir über das Ventil Luft ab. Hat der Reifen zu wenig Druck, müssen wir über das Ventil Luft hinein- blasen. Akupunkturpunkte funktionieren wie fleischfressende Pflanzen, d.h. sie saugen die Energie in sich auf oder lassen sie ab, solange es nötig ist und dann schließen sie sich. Wichtig ist die Nadeltechnik; wir können zwischen einer anregenden, beruhigenden oder harmonisierenden Methode wählen. Die Akupunkturnadeln sollten im Hinblick auf das Übertragungsrisiko von HIV oder Hepatitis Einmalnadeln sein, steril, aus Edelstahl und mit einem Durchmesser von 0,2 mm. Für manche ist diese Methode schmerzhaft und in Anbetracht dessen, dass sie 1 – 2x wöchentlich appliziert werden sollte (in manchen Fällen wird sie in China 1 – 2x täglich appliziert!), auch zeitlich anspruchsvoll. Ihr Ergebnis ist im Vergleich zur Kräuterbehandlung, die locker und schmerzfrei ist, nicht so langanhaltend, wie dies in vielen Legenden erzählt wird. Die besten Effekte erreicht die Akupunktur bei akuten Beschwerden des Bewegungsapparates, bei denen die Ergebnisse am schnellsten zu sehen sind. In nahezu allen Fällen sollte eine ergänzende und nachfolgende Kräuterbehandlung durchgeführt werden, die wesentlich länger anhaltende Wirkungen hat, sowie eine Normalisierung der Lebensführung. Die Akupressur ist im Vergleich zur Akupunktur nur ein schwacher Abguss, der in der traditionellen chinesischen Medizin keine Bedeutung hat und eher eine Modeerscheinung ist. Um wirklich den Fluss der Energie Qi in den Akupunkturbahnen (Meridianen) zu beeinflussen, muss der Akupunktur- punkt gezielt erreicht und mit der Nadel im Punkt gekonnt manipuliert werden. Dies kann mit Sicherheit durch Drücken eines bestimmten Punktes oder Massage nicht erreicht werden, was aber das Prinzip der Akupressur ist.

Heilkräuter

Kommen wir zur wichtigsten und auch stärksten Waffe schweren Kalibers aus dem Arsenal der traditionellen chinesischen Medizin, mit welcher der chinesische Arzt den Gesundheitszustand des Patienten stark beeinflussen kann – es ist die Behandlung mit chinesischen Heilkräutern in Verbindung mit einer Normalisierung der Lebensführung. Warum sind die chinesischen Heilkräutermischungen so wirkungsvoll und werden auf der Welt zunehmend beliebter? Der Grund ist die konsequente Überarbeitung des Diagnose– und Behandlungssystems der traditionellen chinesischen Medizin. Es ist das Ergebnis langfristig und geduldig gesammelter Angaben sowie Beobachtung des Lebens über viele Generationen, die sich in der Praxis bewährten. Was kann einen mehr überzeugen, als die Weisheit einer über Jahrtausende bewährten Praxis? Keine andere Medizin der Welt basiert auf einer so langen Tradition noch überlieferte sie ein so ganzheitliches System für die nachfolgenden Generationen.

Es sind ca. sechstausend chinesische Heilkräuter bekannt, aber für die tägliche Praxis reichen etwa drei- hundert aus. Einige Kräuter haben eine gleiche oder sehr ähnliche Wirkung, sodass eines das andere er- setzen kann. Die chinesische Wertung der Kräuter ist allerdings eine andere als bei uns. Bei uns sagen Kräuterheilkundler zum Beispiel – dieses Kraut ist „für die Leber“ oder pharmazeutisch professionell: „es enthält Katecholamine, senkt Cholesterol“. Die traditionelle chinesische Medizin wertet die Heilkräuter aus einem anderen Blickwinkel. Das Heilkraut mit der chinesischen Bezeichnung Long Dan Cao (lateinisch: Radix gentianae scabrae) hat die Funktion der „Drainage von Hitze und Feuchtigkeit in der Leber– und Gallenblasen- bahn“. Es wird der Charakter des Heilkrauts danach bewertet, ob es dem Organismus Wärme oder Kühle zuführt oder neutralen Charakters ist. Ebenso der Geschmack des Heilkrauts (sauer, bitter, süß, salzig, scharf) und dessen Wirkung (ob es stärkt oder im Gegensatz dazu ableitet, zerstreut oder harmonisiert). Diese Eigenschaften haben sich so lange bewährt, dass sich heute kein Chinese erlauben würde, daran zu zweifeln.

Stellt der chinesische Arzt eine Störung an der Leberbahn fest, muss er genau bestimmen, ob es sich um einen Zustand des Überflusses oder des Mangels handelt, ob die Erkrankung Yin– oder Yang–Charakter hat, oberflächlich oder tiefliegend ist, ob sie von der Kälte oder Hitze stammt, ob die Energie Qi blockiert ist oder nicht, usw. Die Diagnose ist genau und lautet z.B.: „Überfluss an Feuer in der Leber“, zu der zum Beispiel folgende Anzeichen gehören: gerötetes Gesicht, Durst nach kalten Getränken, bitterer Geschmack im Mund, trockener Stuhlgang (Verstopfung), wenig dunkler Urin, Gereiztheit, pulsierende Kopfschmerzen, Ohrenpfeifen, rote Zunge mit gelbem trockenem Belag, Puls schnell, voll und angespannt. Diese Diagnose kann er ruhig seinem Kollegen am anderen Ende des großen Reiches mitteilen und beide werden sich verstehen und genau wissen, worum es sich handelt. Immerhin wird die traditionelle chinesische Medizin seit dem 6. Jahr- hundert unserer Zeitzählung an den Hochschulen gelehrt und hatte und hat ihre einheitliche Konzeption und Terminologie.

Die traditionelle chinesische Medizin verwendet Begriffe, die eine gewisse internationale Bande für alle ist, die sich mit dieser Medizin beschäftigen, ähnlich wie Englisch eine auf der ganzen Welt verstandene internationale Sprache ist. Das ist teilweise auch eine Antwort auf eine der häufigsten Fragen in der Sprech- stunde, warum denn nicht europäische statt der chinesischen Kräuter verwendet werden können. Sie wurden nie so vollendet „kartographiert“ wie die chinesischen. Aus biochemischer und biologischer Sicht wissen wir zwar, welche Stoffe und in welcher Menge sie in diesem oder jenem Kraut enthalten sind, aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin ist das aber unannehmbar.

Eine ganze Reihe der chinesischen Heilkräuter wachsen bei uns nicht. Manche können wir nicht einmal benennen und andere haben für uns seltsam klingende Bezeichnungen (z.B. Baikalhelm oder Jugend des alten Ziegenbocks usw.).