Kräuter, Kräuterrezepturen und TCM

Wie entstanden überhaupt die Kräuterrezepturen? Eine der Legenden erzählt, dass vor 23 Jahrhunderten der chinesische Kaiser Shen Nung, der Göttlicher Bauer genannt wurde, alle wild wachsenden heilenden Pflanzen sammelte, sortierte und probierte. Mit einigen hat er sich angeblich leicht vergiftet, nach anderen wuchsen ihm auf dem Kopf irgendwelche „Hörner“, und so wird er auch meistens abgebildet. Seit dieser Zeit durchlief die chinesische Phytotherapie eine gewaltige Entwicklung von den ersten Anfängen bis zur ausgearbeiteten Methode der Klassifikation und dem System der Vorschriften. Andere Quellen reden von einer Ansammlung von Rezepten der „barfüßigen“ Wundheiler. Vor noch nicht allzu langer Zeit kamen auf einen westlich ausgebildeten Arzt in China eine unvorstellbar große Anzahl von Patienten. Diese Ärzte hielten sich praktisch nur in den Städten auf und die „Barfüßer“ versorgten die Bevölkerung auf dem Land. Man nannte sie so, weil sie meistens sehr arm waren und aus einfachen Verhältnissen kamen. Die Erfahrenen erfreuten sich aber immer großen Respekts. Sie heilten so, wie es in der Gegend üblich war, und mit dem, was sie zur Verfügung hatten. Also meistens mit Kräutern, die sie selbst in der nächsten Umgebung sammel- ten. Einmal jährlich mussten sie die Rezepte, mit denen sie die besten Erfolge erzielten, dem Präfekt über- geben. Dieser sammelte wiederum in der gesamten Provinz und gab die besten an den chinesischen Hof weiter. Dort nahmen sich dieser unüberschaubaren Menge die besten und begabtesten Ärzte des Landes an, die den Kaiser und seine Nächsten behandelten. Die ausgewählten Rezepte testeten sie wiederum an der Dienerschaft des Kaisers aus. Die Besten wurden geprüft und in ihre Aufzeichnungen eingereiht. So entstand dank der Erfahrung und langanhaltenden Empirie der chinesischen Ärzte (und auch dank der chinesischen Kaiser – da sie sehr um ihre Gesundheit besorgt waren) sowie dank absoluter Ergebenheit und Gehorsams der Landbevölkerung diese Schatztruhe menschlicher Erkenntnis. Es hat wohl schon jeder davon gehört, dass die chinesischen Ärzte des Kaisers nur bezahlt wurden, wenn der Herrscher und seine Nächsten gesund blieben. Bei Krankheit hingegen wurden sie persequiert (verfolgt), was davon zeugt, wie wichtig in der traditionellen chinesischen Medizin die Prävention und Erhaltung der Gesundheit waren. Bis heute sind in den Museen Steine mit eingeritzten Rezepturen erhalten. Diese Steine wurden an den Kreuzungen großer Wege zusammengetragen und von dort zum kaiserlichen Palast gebracht, wo sie einer ordentlichen Selektion unterzogen wurden. Nun ja, Rezept ist nicht gleich Rezept und so manches wog einige Tonnen.

Wie funktionieren eigentlich die chinesischen Kräuter? Es werden die ganzen Pflanzen verwendet, sowohl frisch als auch getrocknet, eventuell auf verschiedene Weise verarbeitet, zum Beispiel eingeweicht, gekocht usw. Wurzeln und Stängel der Pflanzen werden meist für langanhaltende chronische Erkrankungen verwendet (z.B. wird die chinesische Angelika-Dahurica-Wurzel in der traditionellen chinesischen Medizin als einer der wichtigsten Koordinatoren bei Blutmangel eingesetzt). Im Gegensatz dazu werden die Blüten und Blätter bei akuten Beschwerden an der Körperoberfläche eingesetzt (z.B. die Chrysanthemenblüte bei Grippe und Angina, bei den sog. Angriffen durch den äußeren schädlichen Wind). Die heutigen chinesischen Kenntnisse über die Behandlung mit Kräutern beruhen einerseits auf den Kenntnissen der einfachen Leute, die aus persönlichen Erfahrungen und den Kenntnissen der Natur resultieren, andererseits gibt es ausführ- liche Lexika über Hunderte von Heilpflanzen. Im alten China gehörte es zum guten Ton, dass jeder Arzt am Ende seines Lebens ein solches Buch für die nächste Generation schrieb. Viele wurden zwar bei der sog. Kulturrevolution vernichtet, aber die wichtigsten blieben erhalten. Die heutige Wissenschaft bemüht sich festzustellen, wie und warum die Kräuter wirken. Die alten Chinesen und „Barfüßer“ interessierte dies aber nicht allzu sehr. Es gibt eben Dinge zwischen dem chinesischen Himmel und der Erde, die sich manchmal einfach nicht erklären lassen. Die Chinesen behaupten, dass alles Wesentliche, was dem Wohl der Men- schheit dient, bereits entdeckt wurde. Erreichen wir einen riesigen technischen Fortschritt auf Kosten der Gesundheit der gesamten Menschheit und einer gewissen geistigen Betäubung, was zur allmählichen Tren- nung von Mensch und Natur, und damit auch zum Verlust eines gewissen Überblicks, der Demut, Urteils- fähigkeit und gesunden Menschenverstandes führt, so ist dieser Fortschritt unnötig. Um den Lesern die Orientierung in der Fülle verschiedener Mittel der traditionellen chinesischen Medizin zu erleichtern, habe ich einige bewährte Kräutermischungen, die Sie ohne Bedenken in ihrer Hausapotheke halten können, aus- gewählt. Sie sind im Anhang dieses Buches im sogenannten „Bund chinesischer Kräuter“ aufgeführt.

Bei der Behandlung mit Kräutern nimmt der Patient einen ganzen Komplex von Stoffen auf, die in be- stimmten Heilpflanzen enthalten sind und diese Stoffe wirken dann wie ein Schutz, der die Entwicklung von Nebenwirkungen verhindert. Meistens werden die chinesischen Kräuter zu einer Mischung zusammengestellt, bei der jedes Kraut seine feste und unveränderliche Aufgabe hat. Sie beeinflussen den gesamten Zustand des Organismus günstig, da sie auf die hauptsächlichen Beschwerden des Patienten wirken und äußerst selten ungünstige Nebenwirkungen hervorrufen. Im Gegensatz dazu beruhen die westlichen chemischen Medikamente auf einem einzigen biologischen aktiven Stoff, der einen ganz bestimmten Effekt hat. Das aber bezieht sich sowohl auf die gewünschte Heilwirkung als auch auf die unerwünschten Nebenwirkun- gen. Die Medikamente beruhigen oft die Beschwerden ohne die eigentliche Krankheit zu beeinflussen (z.B. vernichtet Antibiotika die „schlechten“ Bakterien, wodurch die Abwehrfähigkeit geschwächt wird; harntrei- bende Medikamente befreien den Körper von überflüssigen Flüssigkeitsansammlungen bei Schwellungen, aber sie verbessern nicht die Funktion der Nieren, im Gegenteil, Analgetika unterdrücken den Schmerz bei Gelenk- und Rückenschmerzen, beeinflussen aber nicht den degenerativen Prozess der Arthrose usw.). Manch- mal treten auch eine weitere Verschlechterung der Erkrankung und unerwünschte Nebenwirkungen ein (z.B. können nach einer Antibiotikabehandlung verschiedene Pilze auftreten usw.). Manchmal hat man das Ge- fühl, es würde mit „Kanonen auf Spatzen geschossen“. Das alles kann ein guter Therapeut der traditionellen chinesischen Medizin beeinflussen und eine Behandlung mit Kräutern „herausfiltern“, ohne dem Patienten zu schaden. Zur Behandlung werden in China die Kräuter vor allem in zwei Formen angewendet: in der Form Tang und Wan. Tang ist der Sud aus den einzelnen Kräuterteilen, der etwa 20 – 30 Minuten gekocht werden muss und eine Dosis beträgt gewöhnlich etwa 30 – 40 g. Dieser Sud wirkt zwar schneller (dies hängt wieder von der Kräutermenge ab), aber der Nachteil für den modernen Menschen liegt in der zeitlich aufwendigen Zubereitung (er muss 2x täglich frisch gekocht werden) und in dem stark bitteren Geschmack. Außerdem plagen den Vertrieb Albträume in Form von Feuchtigkeit, Pilzen und Ungeziefer, die das Pflanzenmaterial befallen können. Im Gegensatz dazu wird das extrahierte Konzentrat aus gemahlenen gekochten Kräutern bei der Wan-Form in Kügelchen gepresst, die nicht größer sind kleine schwarze Perlen. Diese Form ist auch für kleine Kinder annehmbar. Man schluckt die Kügelchen und trinkt mit Wasser nach. Sollten Schwierig- keiten beim Schlucken auftreten (vor allem bei den Kleinsten), können die Kügelchen zerstoßen werden, z.B. mit der Knoblauchpresse und mit der Gemüsesuppe oder dem Tee eingenommen werden. Es können ver- schiedene Arten von Kügelchen gut miteinander kombiniert werden, je nach Rat des Therapeuten. Beträgt die gewöhnliche Dosis acht Kügelchen, so können zum Beispiel auch drei Sorten zusammen in unterschied- lichem Verhältnis je nach Zustand des Patienten verordnet werden. Häufig verwechseln die Leute diese klei- nen schwarzen Kügelchen mit homöopathischen Medikamenten, aber in diesem Fall ist das Aussehen rein zufällig. Im Chinesischen gibt es das Wort Homöopathie gar nicht und die Chinesen kennen diese Methode auch nicht. Der Nachteil der Kügelchen besteht manchmal im verzögerten Wirkungsbeginn, was der Preis für die Zeitersparnis bei der Zubereitung, das leichte Schlucken und die lange Haltbarkeit ist. Heutzutage ist die Wan-Form die weitverbreitetste in ganz Europa und Amerika. Die Wan-Kügelchen sind sowohl bei lang- anhaltenden chronischen Zuständen, bei denen die Kräuter einige Monate eingenommen werden müssen, als auch bei akuten Fällen gut geeignet, bei denen öfter höhere Dosierungen eingenommen werden müssen, um das Abklingen der Erkrankungen zu beschleunigen.