Einleitung in die traditionelle chinesische Medizin

Die chinesische Medizin ist nichts Mystisches oder Scharlatanisches. Es ist eine Medizin wie alle anderen auch. Bis auf eines vielleicht: Keine andere Medizin der Welt blickt auf eine so lange Tradition zurück, testete sie an einem so großen Bevölkerungsanteil und keine erforschte den Menschen in Bezug zur Natur. Richtig, sie hat ihre Klippen, wie sie jede Art der Medizin hat, auch sie hat begrenzte Möglichkeiten. Aber dass sie ihre Reinheit erhalten hat, ihre klare Formulierung und einfachen Untersuchungsweisen vom ersten Anbeginn bis zum heutigen Tag, zeugt schon alleine von einem ganzheitlichen System und nicht nur von einer Alternative. Ihre Terminologie ist für den heutigen Europäer (und erst recht für den Fachmann) so andersartig, dass sie anfangs lächerlich wirkt. Wenn wir uns aber in diese Problematik hinein vertiefen, stellen wir fest, dass man auch scheinbar komplizierte Zusammenhänge aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann und sich alles vereinfacht. Nicht jedem gelingt das. Deshalb trifft man auch bei uns auf Intoleranz und Respektlosigkeit. Die traditionelle chinesische Medizin bedroht eine solche Einstellung nicht. Sie existiert schon 4000 Jahre und wird auch ohne diejenigen weiterbestehen, die nur ihre eine eigene Wahrheit anerkennen, die schon dadurch, dass es die einzige sein soll, dem grundlegenden Prinzip des dualistischen Systems von Yin und Yang widerspricht.

Die traditionelle chinesische Medizin zieht sich unabhängig von allen Machtverhältnissen wie ein roter Faden durch die Geschichte des chinesischen Volkes. Ihre Grundsätze und Prinzipien überdauern genauso ruhig, wie der Weg des Tao. Es ist ein langer Weg. Vergleichen wir es mit einer Quelle, die irgendwo hoch oben in den Bergen entspringt, dem Tal zustrebt, mit anderen Bächen zusammenfließt, weiterströmt, manchmal an Hindernisse stößt, sich aufstaut, manchmal auch elegant einen Berg umfließt. Bei Kälte friert der Fluss zu, aber auch nach dem härtesten Winter kommt wieder ein Frühling und Masse und Macht des Flusses nehmen weiter zu, um langsam, aber unaufhaltsam dem unendlichen Ziel zuzustreben – der Erhaltung der natürlichen Harmonie. Auf die gleiche Weise entwickelte und entwickelt sich auch die traditionelle chinesische Medizin. Sie beobachtet immer den Menschen, der eng mit der Natur verbunden ist, aus der Natur hervorgeht, in der Natur lebt und zweifellos zu ihr zurückkehrt. Nicht zu Unrecht bezeichnet sich diese Medizin als eine natürliche. Sie hat ihre Spezifikation, zu der zum Beispiel auch verschiedene Vergleiche gehören, die einem leichteren Verständnis der chinesischen Terminologie dienen. Alles hängt mit allem zusammen und die kompliziertesten Zusammenhänge können wir begreifen, wenn wir sie aus einem anderen Winkel betrachten. Dank der Vergleiche begreift der Patient seine Krankheit leicht. Die gegebene Problematik ist nicht einfach, aber noch komplizierter ist es, sie einem anderen zu erklären.

Das Problem liegt auch in der Kenntnis über die traditionelle chinesische Medizin, deren Art des Funktionierens und deren Möglichkeiten. Dem bleiben wir hierzulande noch viel schuldig. Die Leute kennen zwar Akupunktur, manche auch verschiedene chinesische Gymnastikformen. Aber über die Kräuterheilkunde, die zu den häufigsten Heilmethoden in der traditionellen chinesischen Medizin gehört, weiß man so gut wie nichts. Zur Füllung dieser Lücke auf unserem Markt soll dieses Buch mit einer einfachen Anleitung zur Selbstbehandlung nach der traditionellen chinesischen Medizin dienen. Im Anhang dieses Buches finden Sie eine Übersicht über die grundlegendsten Kräutermischungen in Form von Kügelchen, die Sie bei einfachen Erkrankungen einnehmen können, ohne sich Schaden zuzufügen. Außerdem wurden einige Erkrankungen ausgewählt, die leicht zu verstehen und mit Hilfe der traditionellen chinesischen Medizin zu heilen sind. Ich wiederhole nochmals, dass dies kein Lehrbuch oder Enzyklopädie der traditionellen chinesischen Medizin sein soll. Es sind nur Auszüge aus der Praxis eines Arztes der traditionellen chinesischen Medizin in der heutigen Zeit. Ich bemühe mich nach den Grundsätzen der traditionellen chinesischen Medizin zu heilen, was heute selbst in China nicht absolut üblich ist. Die traditionelle chinesische Medizin ist nicht allmächtig und auch keine all- heilbringende Methode. Ihre Mängel sind vor allem bei akut lebensbedrohenden Zuständen erkennbar, wo die westliche Medizin mit ihrer Technik und Technologie souverän dominiert (vor allem in den medizinischen Bereichen Anästhesie und Intensivmedizin, Traumatologie, Orthopädie, Chirurgie). Dafür bietet die Apparatemedizin bei der Heilung von chronischen und psychosomatischen, also allen funktionellen Erkrankungen keine Hilfe. Was könnte besser sein, als die Kräuter auszuprobieren, die über Jahrhunderte am Menschen ausgetestet wurden und über welche die Chinesen aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin nahezu alles wissen.

Wenn wir uns mit China, seiner Mentalität, seiner Philosophie, womöglich auch der traditionellen chinesischen Medizin beschäftigen wollen, so fordert das von uns Menschen der westlichen Welt eine gewisse Gabe an Demut. Diese ist nämlich deshalb erforderlich, um unsere eingefahrenen Gedankengänge abzulegen, die uns festhalten und gleichzeitig unsere Sicht von China verfälschen. Denn China ist weder unveränderlich noch unbeweglich und auch gegenüber dem Rest der Welt nicht verschlossen. Deshalb ist auch ihre heutige offizielle Bezeichnung „Reich der Mitte“ (Chung-kuo) gut gewählt, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, sich inmitten natürlicher Grenzen zu befinden. Es gibt dort sowohl Hochgebirge, als auch Wüste und Meer. Deshalb kann die traditionelle chinesische Medizin sowohl die Menschen im Norden als auch im Süden Chinas heilen, sowohl im Gebirge als auch am Meer. Das kann sonst keine andere natürliche Medizin von sich behaupten, da sie sich immer in wesentlich begrenzteren Räumen entwickelte, als es die Größe des chinesischen Reiches ist. Über die Dauer ihrer Existenz kristallisierte die traditionelle chinesische Medizin ein Unikat eines Heilsystems heraus, das auf der Welt keinen Vergleich findet. In der heutigen Zeit, in der auf der ganzen Welt eine deutliche Abneigung gegenüber der „chemischen“ Medizin und eine Rückkehr zur Natur zu verzeichnen ist, pilgern aus den verschiedensten Winkeln der Welt Menschen in das Reich der Mitte, die sich nach der Neuentdeckung der verborgenen Perlen des menschlichen Wissens und Denkens sehnen. Viele stoßen aber an eine Barriere aus Unverständnis und seltsam anmutendem Verhalten, ähnlich dem Katz- und Maus-Spiel. Das Problem ist und bleibt der völlig andere Blickwinkel der Chinesen auf das Leben und alles, was damit zusammenhängt. Chinesische Gedanken reißen nicht Sachen aus ihrem Kontext, sondern gliedern sie ein und kehren in den Schoß der Natur zurück. Sie trennen nicht Leben und Tod, Lebewesen (Menschen, Tiere, Pflanzen) von Nichtlebewesen (Felsen, Berge, Bilder …). Alles steht immer mit allem in Zusammenhang und durch einen unendlichen Kreislauf wird das Ganze wieder erneuert und belebt. Unsere Ge- danken sind analytisch. Wir bemühen uns, Dinge isoliert zu begreifen, während die chinesischen Gedanken synthetisch sind und sie sich bemühen, alles in allen Zusammenhängen zu verstehen. Aus dieser Sicht heraus begreifen auch die Chinesen ihre Existenz, ihre Geschichte und auch die Frage von Gesundheit und Krankheit. Eine Reihe von Begriffen wiederholen sich ständig in diesem Buch. Das ist deshalb so, weil chinesische Lehre und Denken sich wie eine gedachte Spirale entwickelten, zu bereits bekannten Begriffen zurückkehren und neue hinzufügen. Dadurch wächst diese Spirale schrittweise und wird stärker, so wie auch der Baum unseres Wissens und der Erkenntnis wächst.

Die traditionelle chinesische Medizin wirkt relativ dogmatisch. Natürlich haben alle diese scheinbaren Dogmen ihre Begründung. Wenn die traditionelle chinesische Medizin sagt, dass dieses Heilkraut „wärmt“ und ein anderes „kühlt“, so zweifelt dies niemand an und es ist ebenso sicher, wie dass auf die Nacht der Tag folgt. Die westliche Medizin kann von verschiedenen Medikamenten nicht mit Sicherheit sagen, was sie alles im Körper bewirken, denn wie viele Medikamente werden nach einigen Jahren wieder aus dem Verkehr gezogen! Diese Sicherheit neiden alle westlichen pharmazeutischen Firmen heimlich den Chinesen und so ist es verständlich, dass sie sich bemühen, ihnen den Durchbruch außerhalb des chinesischen Marktes zu erschweren. Aber so, wie das Wasser ruhig im Chang Jiang fließt, wird auch die chinesische Medizin letztendlich ihren Weg finden.