Über die Stärkung der Abwehrkräfte

Funktion der Abwehrenergie

Im chinesischen Wortsinn bedeutet Abwehrenergie sicherlich das, was wir uns unter Immunsystem vorstellen. Sie ist ein Bestandteil der gesamten Energie Qi, mit der sie steht und fällt. Ist der Gesamtzustand des Organismus gut, sind auch die Abwehrfähigkeit und Widerstandsfähigkeit nicht gestört. Treten allerdings größere Löcher im Verteidigungshaushalt auf, können selbst Heereskräfte eine ordentliche Verteidigung des Landes nicht mehr sicherstellen.

Die Abwehrenergie stellt eine Oberflächenabdeckung dar, die den Organismus vor einem Befall durch den schädlichen Wind schützt. Wie schon bereits erwähnt, ist der schädliche Wind in der chinesischen Denkweise etwas Unsichtbares, was nach dem Eindringen in den Organismus eine Krankheit hervorruft. Und da auf dem Weg nach innen das erste Organ die Lunge ist, zeigt sich die Erkrankung vor allem durch Atemwegsbeschwerden.

Die Abwehrenergie hat drei grundlegende Funktionen:

  1. Schutz der Körperoberfläche und Abwehr äußerer Schadstoffe – des schädlichen Diese Funktion lässt sich mit der Sicherung der Landesgrenze vergleichen. Je mehr Grenzsoldaten eingesetzt wurden und je länger und stärker die Chinesische Mauer wurde, desto schwerer wurde es für die Barbaren aus dem Norden einzudringen und das Reich der Mitte auszurauben. Wären aber weniger Soldaten gestanden oder wäre die Mauer nicht so gut erhalten worden, wäre das Land durch ständige Angriffe der Hunnen oder Mongolen bedroht gewesen.
  2. Erhaltung der Temperatur des Die Abwehrenergie, die in den oberflächlichen Teilen des Körpers zirkuliert, stellt die allgemeine Widerstandsfähigkeit gegen Temperaturschwankungen sicher. In heißen Gegenden stellt sie die Kühlung durch Schwitzen sicher, in kalten Gegenden wärmt sie die Körperteile, die der Kälte ausgesetzt sind, und schützt eventuell vor Erfrierungen.
  3. Regelung des Das Schwitzen spielt sich über die Hautporen ab, die in der chinesischen Medizin kleine Tore der Energie genannt werden. Unangemessenes Schwitzen bedeutet Schwächung des Organismus und wird durch Energieverlust hervorgerufen. Bei der Diagnoseerstellung in der Praxis gehört die Frage nach dem Schwitzen zu einer der wichtigsten. Die chinesische Medizin unterscheidet zwischen vielen Arten von übermäßigem Schwitzen und jede verlangt nach einer anderen Behandlungsweise.

Die Wanderung der Energie Qi

Interessant ist die Beschreibung des Energiekreislaufes Qi. Bestandteil der Energie Qi ist die Abwehrenergie. Die Kenntnis über den Kreislauf ist Voraussetzung für ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge bei der Entstehung von Infektionskrankheiten. Wie wir bereits wissen, ist der menschliche Organismus aus chinesischer Sicht von einem Netz von Bahnen – Kanälen – überzogen, in denen die Energie Qi fließt. Es gibt zwölf Hauptbahnen und deren Verbindungen. Die Energie fließt während des Tages ununterbrochen in diesen zwölf Bahnen im Kreis. Sie schafft täglich fünfundzwanzig solcher Kreisläufe. In dem Moment, in dem wir uns schlafen legen, zieht sich die Energie ins Innere zurück, wo sie während der Nacht eine Art inneren Kreislauf bildet, eine Wallfahrt um die inneren Organe. Aus ihnen schöpft sie bei Nacht Nachschub für die verbrauchte Energie, wodurch sie sich regeneriert. Jedes Organ spendet der Mühle sein Körnchen in Abhängigkeit davon, was ihm eigen ist. Die Lungen spenden ihre Energie, die aus der eingeatmeten Luft entsteht, die Milz gibt Auszüge aus der Nahrung, die Leber gewährt Sinn für Ordnung und damit einen ungestörten Kreislauf, oder anders ausgedrückt, sie diktiert den Fahrplan; die Nieren widmen etwas von den Reserven, falls es untertags zu einer größeren Erschöpfung gekommen sein sollte. Das Herz, als Kaiser aller Organe, kontrolliert zuletzt alles und unterschreibt es.

Mit dem Öffnen der Augen beim morgendlichen Aufwachen taucht die Energie wieder an die Oberfläche auf und beginnt mit der Bahn der Harnblase, die in den Augen beginnt, ihre ganztägige Wanderung. Abends taucht sie dann wieder erschöpft zu ihrem regenerierenden Aufenthalt in die Bereiche der inneren Organe ab.

Je länger die Tagesphase bei jedem von uns anhält und je weniger wir schlafen, desto schlechter ist es für den Gesamtzustand der Energie. Das muss sich aber nicht gleich bemerkbar machen, da für eine bestimmte Zeit die Nieren den ständigen Überbedarf aus ihren Reserven decken. Hört aber die energetische Ausbeutung nicht auf, droht früher oder später der Kollaps.

Es kommt häufig vor, dass ein Patient mit einer fünfjährigen Anamnese von Überarbeitung, verbunden mit Stress, Schlafmangel usw., in die Sprechstunde kommt. Es gelang ihm, eine Firma, die funktioniert und erfolgreich arbeitet, aufzubauen oder er beendete ein anspruchsvolles Studium. Aber was geschieht jetzt?

Auf einmal beginnen sich gesundheitliche Probleme zu zeigen – Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Herzklopfen, Verdauungsprobleme. Eine typische begleitende überraschte Äußerung des Betroffenen über diesen Zustand lautet: „Aber ich arbeite doch bereits nicht mehr so viel, ich gehe sogar spazieren, ernähre mich gesund. Was aber geht da jetzt vor sich?“ Aus chinesischer Sicht kam es zur totalen Erschöpfung der Reserven und zu deren Erneuerung reicht es leider nicht aus, sich gut zu ernähren und zu schlafen. Jeder Tag, ob nun ein normaler oder ein Erholungstag, kostet nämlich eine bestimmte Quantität an Energie. Es kommt zwar zur Erneuerung, aber auch zur Verbrennung. Zur Korrektur des Defizithaushalts muss nun aber ein strategischer Partner einsteigen, der den Karren (Organismus) aus dem Dreck zieht. Diesen Partner finden die chinesischen Ärzte meistens in einer Kräutermischung. Damit will ich aber nicht behaupten, dass eine gesunde Lebensführung nicht eine Selbstverständlichkeit sei.

Umgang mit der Abwehrenergie

Das Vorhandensein der Energie an der Oberfläche oder im Inneren des Körpers äußert sich selbstverständlich in der aktuellen Abwehrfähigkeit des Organismus. In der Zeit, da die Soldaten die Grenze bewachen, ist sie undurchlässig. Gehen aber alle gleichzeitig weg um Brotzeit zu holen, hat der Angreifer keine großen Probleme ins Landesinnere einzudringen. Dadurch erklärt sich, warum wir uns in der Nacht mit einer Decke schützen müssen und warum es so gefährlich ist, wenn in der Nacht der aufgedeckte und verschwitzte Rücken kalt wird. Während unseres Studiums in China wurden wir häufig der Frage ausgesetzt: „Warum decken wir uns nachts zu?“ So oder so ähnlich lautete die Frage immer wieder. Es war die Bemühung unserer Lehrer, uns nicht nur theoretisches Wissen über die chinesische Medizin mitzugeben, sondern uns zu lehren, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ununterbrochen wurden wir aufgefordert, hinter allen Geschehnissen der Welt das Spiel verschiedener Energien, Yin und Yang, zu sehen. Diese Übungen, die manchmal sehr erschöpfend waren, halfen schrittweise, die uns umgebende Natur und den Menschen darin als einen untrennbaren Bestandteil tiefer zu verstehen.

So wie für den mittelalterlichen Ritter die Rüstung die Frage über Tod oder Leben entschied, ist für jeden Menschen der Zustand seiner Abwehrenergie ausschlaggebend für die Qualität seiner Gesundheit. Wie kann nun die geschädigte Abwehrenergie verbessert werden? Jede Kultur, nicht nur die chinesische, suchte sich ihren Weg. Ein typisches Beispiel ist die Abhärtung. Wir kennen aus den russischen Märchen die bärtigen Männlein, die sich im tiefsten sibirischen Winter im Schnee wälzen und dann ihre Rücken heldenhaft den Hieben der Birkenpeitschen aussetzen. Aus Sicht der chinesischen Medizin handelt es sich dabei um eine sehr rigorose Verlagerung der Energie an die oberen Schichten des Organismus, wodurch dem sofortigen Kältetod vorgebeugt wird. Den Bereich des Rückens durchlaufen außerdem zwei Bahnen, die eine sehr enge Beziehung zur Abwehrenergie haben. Die Birkenmassage wirkt ähnlich wie die Akupressur und stärkt somit diesen Teil der Energie. Empirisch gesehen geht es um eine sehr wirkungsvolle Abhärtung der Körperoberfläche, dem Brennen, das den Organismus vor äußeren Schadstoffen schützen soll.

Trotzdem würde ich aber diese Methode nicht allgemein für den Anfang empfehlen. Für das Überspringen der Kräfte von innen an die Oberfläche müssen wir uns vor allem sicher sein, dass etwas zum Überspringen da ist. Wie schon in diesem Kapitel erwähnt, entspringt der Mangel an Abwehrenergie meistens einer Schwächung der gesamten Energie Qi. Würden wir jetzt mit drastischen Methoden die Energie an die Körperoberfläche peitschen, würde sie woanders fehlen. Dadurch würde es nur zur Verstopfung eines Loches unter gleichzeitiger Öffnung eines anderen kommen. Der Betroffene würde jetzt zwar nicht mehr so häufig krank, aber er würde nun zum Beispiel an Durchfällen oder anderen Verdauungsstörungen leiden. Für die an Abhärtung Interessierten empfiehlt sich ein bestimmtes Maß an Vorsicht mit einem allmählichen Übergang zu niedrigeren Temperaturen beim Baden oder Duschen. Fühlt man sich bereits extrem geschwächt und leistungs- unfähig, sollte man überhaupt nicht mit Abhärtung beginnen, sondern einen ganz anderen Weg gehen, bei dem auf die allgemeine Verbesserung der Lebensführung, der Ernährung und des Arbeitseinsatzes geachtet wird.

Zu den weiteren diskutierten Abhärtungsmethoden gehört die Sauna. Es kann nur wieder gesagt werden, dass wir von dieser Methode aus Sicht der chinesischen Medizin nicht übermäßig begeistert sind. Zur Erläuterung beschreiben wir die Vorgänge, die sich beim Saunieren abspielen, aus chinesischer Sicht. Beim Schwitzen in der Sauna kommt es zum Öffnen der Poren, nach chinesischer Ansicht der Tore der Energie Qi. Die Energie beginnt von der Mitte des Körpers nach außen zu strömen, was von vermehrtem Schwitzen begleitet wird. Die Schweißmenge ist individuell verschieden, die sogenannten feuchten und heißen Typen verlieren mehr, die kalten und trockenen Konstitutionstypen weniger. Anschließend folgt die Abkühlung, wodurch sich die Poren schließen und das Austreten der Energie abrupt beendet wird.

Aus Sicht der chinesischen Medizin wird der Mensch von dem Klima beeinflusst, in dem er lebt. Es geht nicht nur um die Einflüsse des Wetters, sondern auch um die Beeinflussung durch das, was die Chinesen himmlische Energie nennen. Je nördlicher, desto kühler ist die Energie, je südlicher, desto wärmer. Diese Energie hat einen Einfluss auf den gesamten Zustand und das Verhalten der Bürger in diesem Gebiet. Stellen wir nur in Gedanken zum Beispiel Lord Mc Pherson von den nördlichen britischen Inseln und den Sizilianer Benocelli nebeneinander, dann sehen wir deutlich, was mit dem Ausdruck kühle und heiße Energie gemeint ist. Ist das Zufall? Die taoistische Philosophie lehrt, dass der menschliche Organismus die Natur kopiert, in die er fest eingepflanzt ist. Die kalte Energie des Nordens ist von ihrem Charakter her stationär, ruhig, stagnierend. Kühle wirkt immer zentripetal, kriecht unter die Haut, ruft eine Verlangsamung der Bewegung der Energie hervor. Die Hitze der südlichen Bereiche hingegen lässt nichts an seinem Platz. Die Energie schwirrt ähnlich wie die Luft über der aufgeheizten Erde.

Kehren wir zu unserem Thema Sauna zurück und machen uns bewusst, dass sie ihre Tradition in den nördlichen Ländern hat. In diesen Breiten ist der überwiegende Anteil der äußeren Energie eine kalte Energie, die den natürlichen Austritt eines Teils der Energie zur Körperoberfläche und über die Haut nach außen hemmt. Durch die verschlossenen Poren, die Tore des Qi, kommt es zu einer gewissen Störung der Reinigungsfunktionen des Organismus. In diesen Breiten ist es deshalb vorteilhaft, der Energie von Zeit zu Zeit ein ordentliches Ventil zu sichern, wodurch es zur gründlichen Reinigung oder auch Lüftung des Organismus kommt.

Unser Problem liegt aber darin begraben, dass wir nicht an ähnliche Energien glauben. Deshalb sagt man sich – was den Finnen gut tut, tut allen gut und deshalb bauen wir uns eine Sauna. Ich möchte nicht gegen das Saunieren kämpfen, ich möchte nur zur Mäßigkeit und Respektierung der individuellen Bedürfnisse des Organismus aufrufen. Die Sauna ist im Winterhalbjahr für diejenigen gut, die der Gruppe der sogenannten kalten Konstitutionstypen zugerechnet werden. Sie ist nicht günstig für all diejenigen, die dem heißen oder trockenen Typ angehören. Bei ihnen kommt es nämlich durch das Saunieren zu einem unerwünschten und manchmal auch gefährlichen Verlust von Yin, von dem sie sowieso nichts zu verschenken haben.

Abwehrenergie auf dem Speiseplan

Im Hinblick auf die Korrektur der geschwächten Energie Qi, welche die Körperoberfläche wärmen und schützen soll, wird der Verzehr von nahrhaften Speisen mit leicht scharfem Geschmack empfohlen. Das be- deutete im chinesischen Speiseplan eine Bevorzugung von Getreide und Fleisch mit wenig Gemüse. Zur Erlangung des scharfen Geschmacks wurde frischer Ingwer, Kurkuma oder andere sanft wirkende Gewürze verwendet. Für uns klingt es möglicherweise paradox, dass empfohlen wurde, keine größeren Mengen an frischem Obst zu essen. Der Grund ist, dass es vom Charakter her kalt ist.

In China waren und sind auch heute noch regionale Unterschiede in den Ernährungsgewohnheiten in Abhängigkeit vom Breitengrad zu finden. So wurde in den nördlichen Provinzen nahezu täglich Hammelfleisch gegessen, das zu den Lebensmitteln gehört, die das Yang am meisten unterstützen. Durch einen aus- reichenden Vorrat an körperlichem Yang sicherten sie sich den entsprechenden Schutz vor dem ungemütlichen nasskalten Kontinentalwetter. Im Süden erfreute sich Fischfleisch und ausreichend Obst und Gemüse großer Beliebtheit, also Speisen, die das körperliche Yin ernähren.

Kräutermischungen zur Stärkung der Abwehrkräfte

Mit Rücksicht darauf, dass die Abwehrenergie nur der verlängerte Arm der gesamten Energie ist, wählte man die Rezepturen so, dass sie den Zustand des Organismus allgemein verbessern und stärken. Die Bedürfnisse gingen aus einer individuellen Analyse des Ist-Zustandes aus. Das gemeinsame Element war, die äußere Schicht des Organismus zu stärken, also das Parkett der Abwehrenergie nicht zu vergessen. Zu einer der am häufigsten angewendeten Kräutermischungen, die bei einem Mangel der Abwehrenergie gegeben werden, gehört die Kombination Windbrecher aus Ebenholz. Das Zusammenspiel der einzelnen Wirkungen ist sehr illustrativ. Jedes Heilkraut wirkt auf eine andere Ebene des Organismus und gleichzeitig ergänzen sie sich sehr gut.

Der erste Wirkstoff stammt aus der Glockenwindenwurzel. Er hilft bei der richtigen Umwandlung der Nahrung in Energie Qi. Er wirkt also in der Milz, die nach Ansicht der chinesischen Medizin den Verdauungsprozess regelt, gleichzeitig hilft er der Energie in den oberen Körperschichten, den Organismus vor Schadstoffen zu schützen. Außerdem wird dieser Bestandteil zur Regulierung bei übermäßigem Schwitzen angewendet, wobei die überflüssig geöffneten Tore des Qi verschlossen werden, was das Entweichen der Energie verhindert.

Der zweite Wirkstoff stammt aus der Astragluswurzel. Er hilft ebenfalls der Verdauung und Bildung von Qi. Sein größter Vorteil liegt in der Fähigkeit, die produzierte Energie in die Bahnen zu senden, damit sie dort die Vorräte erneuert und stärkt. Er hat einen allgemein stärkenden Einfluss auf den Organismus und in bestimmten Funktionen wird er mit Ginkgo verglichen. Er wirkt ebenfalls gegen übermäßiges Schwitzen.

Diese Hilfsmittel produzieren also Energie, senden sie dorthin, wo sie am meisten gebraucht wird, helfen ihr gleichzeitig und lehren sie, wie mit dem Feind gekämpft wird. Die modernen Untersuchungen bestätigen die Ansichten der alten chinesischen Ärzte, aber sie benennen es heute natürlich anders. Man spricht von der sogenannten immunstimulierenden Wirkung. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich an ein lateinisches Sprichwort zu halten: „Die Zeiten ändern sich, aber die Menschen bleiben dieselben.“